Sicher mitten im Leben
Der Lebenslauf von Michael Sicher klingt wie manch anderer: Handelsakademie, Studium der Wirtschaftsinformatik, eine Anstellung im IT-Bereich bis hin zum IT-Leiter, dann Coaching-Ausbildung und Umsatteln auf Selbstständigkeit als Coach und Berater. Wenn, ja, wenn da nicht sein Handicap wäre, das man nur sieht, wenn man ihn trifft oder seine Tätigkeitsbereiche unter die Lupe nimmt. Das Handicap, im Rollstuhl zu sitzen, beeinflusst oftmals die Vorstellungen, die Menschen über Sicher haben.
Traumjob
„Als IT-Verantwortlicher habe ich Coaching kennengelernt. als es um Teambildung und Mitarbeiterführung ging“, erzählt Sicher von seinem Lebensweg. „Die Thematik hat mich sehr interessiert, und nachdem ich mehr mit Menschen zu tun haben wollte, habe ich selbst eine Coaching-Ausbildung begonnen und schließlich umgesattelt.“ Der intensive Kontakt zu Menschen, die Abwechslung durch laufend neue Themen und dadurch die stetigen Herausforderungen sind es, was ihn an seinem Beruf als Coach und Berater fasziniert.
„Menschen mit Behinderungen nehmen oft mehr Aufwand in Kauf, um überhaupt berufstätig sein zu können“, räumt Sicher ein. „Zum Beispiel mehr Zeitaufwand, um ins Büro zu kommen, die Organisation von persönlicher Assistenz am Arbeitsplatz und anderes.“ Sie bringen allerdings auch Kompetenzen mit, die aufgrund ihrer Behinderung erworben oder stärker ausgeprägt sind. Und genau das wäre eigentlich ein entscheidendes Argument, um behinderte Menschen als vollwertige Arbeitskräfte zu sehen. Ihr Wissen und ihre Kompetenz unterscheiden sich nicht von jenen nicht behinderter Menschen, doch das Leben verpasst ihnen oftmals eine große Portion zusätzlicher sozialer Kompetenzen, die überal! gefragt sind. Genau das ist es auch, was Sicher am meisten ärgert: „Dass Menschen im Rollstuhl oft als nicht leistungsfähig wahrgenommen werden – und dass ,Inklusion‘ ein Modewort ist, bei dem häufig die Theorie im Vordergrund steht, damit die Praxis nicht angegangen werden muss.“
„Menschen mit Behinderungen bringen einen wirtschaftlichen Nutzen für Unternehmen. Es hat nichts damit zu tun ,Gutes zu tun', wenn man jemanden mit Behinderung einstellt“, argumentiert Sicher. Um das zu erreichen, wünscht sich der Life Coach in Wien mehr Begegnungen, damit sich jeder selbst ein Bild von der Persönlichkeit seines Gegenübers machen kann. Nur der persönliche Kontakt zählt. Das bedeutet, dass Menschen mit Handicaps Chancen bekommen sollten, Unternehmen kennenzulernen und umgekehrt, denn dann ist es möglich, Vorurteile aufzubrechen, die nach wie vor besagen, dass sie weniger Leistung bringen können.
Vorsorge für jedermann Unabhängig davon, ob eine Behinderung vorliegt oder nicht, sind Menschen im Berufsleben gefordert, ihre Gesundheit als wertvollstes Gut zu behandeln. Damit ist neben der physischen selbstverständlich auch die geistige Gesundheit gemeint. „lch sehe keine Unterschiede in der Notwendigkeit eines gesunden Lebensstils", meint dazu Sicher. „Jeder muss individuell dafür Sorge tragen, dass er fit und geistig gesund bleibt", dass er also beispielsweise nicht Burnout-gefährdet ist. „Gesundheit ist die Basis dafür, viel bewegen zu können“, ergänzt Sicher.
Selbstverständlich wird es immer wieder erforderlich sein, dass Menschen mit Behinderung in der Berufswelt Unterstützung erhalten, doch eine Belastung müssen sie deshalb noch lange nicht darstellen. Sie können selbst einschätzen, wie viel Hilfe sie tatsächlich brauchen. Hinsichtlich der Frage, ob und wann Hilfe gewünscht und notwendig ist, herrscht immer wieder Unsicherheit – auch im Privatleben, wie Sicher bestätigt. „Personliche Kontakte geben uns die Möglichkeit, zu vermitteln bzw. zu verstehen, ob Hilfe gebraucht wird“, rät Sicher. „Das kommt wie bei Menschen ohne Handicap auf die Situation und das Gegenüber an: Wer Augenkontakt herstellt, wird schnell lernen, einzuschätzen, ob er helfen soll. Viele wollen keine Hilfe, aber andere werden signalisieren, dass sie Unterstützung brauchen, auch wenn sie nicht direkt danach gefragt werden.“
CEOs on Wheels
Als junger Mann bewarb sich Sicher für einen Ferialjob bei einer großen Bank. Er schaffte es bis ins Assessment Center, hatte ein gutes Gefühl und erhielt schließlich den ersehnten Anruf: Er habe das beste Ergebnis geliefert, sei eindeutig der beste Kandidat... aber für ihn gebe es keinen Ferialjob. Dieses Erlebnis ließ Sicher nicht mehr los und wurde schließlich zum Schlüsselerlebnis, das zur Gründung von CEOs on Wheels, einem Mentoring-Programm für Menschen im Rollstuhl, führte. Es geht dabei um den Beweis, dass Menschen mit Behinderungen vollwertige Arbeitskräfte sein können. „Das Führen eines Konzerns und ein Leben mit Behinderung erfordern hohe Kompetenz“, heißt es dazu bei CEOs on Wheels. „Besonders ausgeprägte Fähigkeiten für Problemlösungen und Organisation sind im Alltag praxiserprobt.“ Bei CEOs on Wheels fungieren Top-Führungskräfte als Mentoren für qualifizierte Menschen im Rollstuhl am Anfang und vor dem nächsten Karriereschritt. Der Rollstuhl wird durch die persönlichen Kontakte zwischen Menschen mit und ohne Rollstuhl zur Nebensache. So fordert die Initiative Karrierechancen für Menschen mit Behinderungen.
High Rollers wurde ebenfalls von Michael Sicher gegründet und ist ein Verein zur Kommunikation der Leistungsfähigkeit von Menschen im Rollstuhl. Diese Initiative macht die Potenziale und Talente von Rollstuhlfahrern sichtbar, die sie sich nicht zuletzt aufgrund der ganz besonderen Herausforderungen aneignen, denen sie sich stellen müssen, um ihr Leben zu meistern. Häufig sind es ein überdurchschnittliches Organisationstalent, viel Geduld und eine starke Zielorientierung, die Rollstuhlfahrer zusätzlich zu ihrer beruflichen Qualifikation an den Tag legen. Diese Vorzüge gilt es zielgerichtet zu kommunizieren.
Schmerzhafte Unterschiede
Michael Sicher vermittelt Führungskräften, dass Menschen im Berufsleben gleichwertige Leistungen bringen können, selbst wenn sie zufällig eine Behinderung haben. „Mir ist es wichtig, Menschen im Rollstuhl dabei zu unterstützen, ihr Potenzial zu erkennen, zu nutzen, auszubauen und zu kommunizieren, damit wir in unserer Gesellschaft als ebenbürtig wahrgenommen werden", stimmt Sicher nachdenklich. In vielen Lebensbereichen – im Berufs- wie auch im Privatleben – wird viel zu oft darauf vergessen, dass es nicht das Nicht-Vorhandensein einer Behinderung ist, das einen guten Mitarbeiter und wertvollen Menschen ausmacht, und dass es somit keinen Anlass gibt, ein Handicap vor die Persönlichkeit eines Menschen zu stellen. Im Gegenteil, langst sollte uns bewusst werden, dass Berührungsängste und Unsicherheiten aufgrund mangelnder gemeinsamer Kontakte bestehen, oder wie Michael Sicher es sagt: „Nichtbehinderte können von Behinderten lernen, dass sie sich über das Stellen von Fragen an Menschen mit Behinderungen oder über die Wahl der ,richtigen Worte‘ viel zu sehr den Kopf zerbrechen.“