Der steinige Weg durchs Studium

Handicap. Studieren trotz Behinderung ist natürlich möglich – aber weder leicht noch selbstverständlich. Service-Angebote verbessern strukturelle Probleme, bauliche und technische Barrieren erschweren nach wie vor den Alltag.

VON CHRISTIAN LENOBLE

Ein Blick auf die Bildungsabschluss-Statistiken des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) macht es deutlich: Menschen mit Behinderung haben einen erschwerten Zugang zu Bildung. Nur zehn Prozent der Menschen in Österreich mit dauerhaften Einschränkungen verfügen über einen Maturaabschluss, während 29 Prozent der Personen ohne Behinderung einen solchen erworben haben. Gravierende Differenzen zeigen sich auch bei den Universitätsabschlüssen: Während 27 Prozent der Menschen ohne Behinderung ein Studium absolvieren, ist dies nur bei etwa neun Prozent der Menschen mit Handicap der Fall.

Bauliche Barrieren minimieren

„Die größten Barrieren sind immer noch die offensichtlichen, nämlich die baulichen Barrieren. Obwohl sich in den letzten Jahren schon vieles getan hat, sind noch nicht alle Bereiche oder Institute für Menschen im Rollstuhl zugänglich. Studierende müssen daher zusätzlich auf ihre Kompetenzen in Kommunikation und Organisation zurückgreifen. Etwa um Lehrbeauftragte zu kontaktieren oder alternative Lösungen mit Kollegen zu organisieren, um an Lehrveranstaltungen oder Prüfungen teilnehmen zu können“, kennt Rollstuhlfahrer Michael Sicher die konkreten Probleme im Studienalltag.

Probleme, die in den unterschiedlichsten Formen auftreten können. Etwa wenn es Personen mit Seh- oder Höreinschränkungen betrifft. „Es ist sehr schwierig, mitzuschreiben und gleichzeitig zuzuhören beziehungsweise von den Lippen zu lesen“, berichtet Pamela, die Bildungswissenschaften an der Universität Wien studiert und an Schwerhörigkeit leidet. „Ich muss dann meistens die Studenten fragen, ob es möglich ist, dass sie mir die Mitschriften geben – was natürlich oft unangenehm ist.“ Für die sehbeeinträchtigte Psychologiestudentin Theresa stellt das Lesen die größte Schwierigkeit dar: „In Vorlesungen kann ich PowerPoint-Folien nicht entziffern, auch nicht, wenn ich in der ersten Reihe sitze. Schriftliche Prüfungen sind problematisch, weil die oft verwendete Schriftgröße zwölf für mich zu klein ist.“

Teilhabe der Studenten stärken

Diese und andere Probleme zu entschärfen liegt an den heimischen Hochschulen im Bereich der Behindertenbeauftragten. „Die Universität Wien ist in diesem Sinne bemüht, die Teilhabe von Studierenden mit Behinderung zu stärken. Es gibt zum Beispiel einen Beirat ,Barrierefrei Studieren‘, in dem Studierende sitzen, die eine Behinderung haben. Sie können Maßnahmen, die an der Universität Wien umgesetzt werden, evaluieren oder auch neue Maßnahmen initiieren“, sagt Behindertenbeauftragte Birgit Virtbauer vom Referat Student Point.

Angeboten werden zahlreiche Services, auch für Personen mit psychischen Beeinträchtigungen. „Wer zum Beispiel unter einer Sozialphobie leidet, kann Prüfungen schriftlich statt mündlich ablegen oder muss Referate nur ausarbeiten, aber nicht mündlich vor der Gruppe vortragen. Oder er darf etwas öfter bei Seminaren fehlen. Im Gegenzug müssen dafür alternative Leistungen erbracht werden. Die Leistungsidee fällt also nicht weg“, erläutert Virtbauer.

Das Anliegen, Barrieren am Universitäts- oder FH-Campus und im Studienalltag zu orten sowie sich für deren Beseitigung einzusetzen, wird mittlerweile an den meisten heimischen Hochschulen großgeschrieben. Als Vorreiter gilt die Johannes-Kepler-Universität Linz mit ihrem Institut Integriert Studieren (IIS), das sich als Lehr- und Forschungsanstalt seit mehr als 20 Jahren im Service für Studierende mit Behinderungen engagiert. „Ein immer wichtiger werdender Arbeitsbereich des Instituts betrifft die Koordination und Organisation von Prüfungen“, weiß der stellvertretende Institutsvorstand, Klaus Miesenberger. Die Anpassungen reichen je nach Behinderungsform, Einschränkungsgrad sowie Art und Umfang der Prüfung – vonmündlicher statt schriftlicher Abhaltung über Benützung eines Laptops – bis hin zur Schreibassistenz. Zusätzlich verfügt das IIS seit Beginn 2012 über einen eigenen Prüfungsraum, in dem bis zu drei Studierende gleichzeitig Prüfungen ablegen können. „Im Vorjahr haben 14 Studierende mit Behinderung insgesamt 143 Prüfungen am Institut angemeldet. Dieser Service wird gerne und immer öfter in Anspruch genommen“, betont Miesenberger.

Auf das Berufsleben vorbereiten

Als einen wesentlichen Bestandteil seiner Aufgabe sieht das Linzer Institut zudem die Vorbereitung des Berufseinstiegs von Studierenden mit Behinderung. „Es werden während des Studiums gezielt Social Skills vermittelt, damit sich die Absolventen selbstbewusst für hoch qualifizierte Jobs bewerben können“, so Miesenberger. Maßnahmen wie spezifische Trainings werden ergänzt durch ein Mentoringsystem mit Vertretern von potenziellen Arbeitgebern.

Auf ein Mentoringsystem zur Verbesserung von Karrierechancen von qualifizierten Menschen im Rollstuhl setzt ebenfalls die private Initiative CEOs on Wheels des Wirtschaftsinformatik-Absolventen Michael Sicher: „CEOs on Wheels stellt Kontakte zwischen Menschen mit und ohne Rollstuhl her, um gegenseitig voneinander zu lernen. Im Rahmen des Workshops ,Die andere Seite‘ erfahren Entscheidungsträger nicht nur, wie es ist, sich im Alltag im Rollstuhl zu bewegen, sondern entdecken vor allem, welche Kompetenzen Menschen im Rollstuhl erworben haben, um ihre täglichen Herausforderungen zu meistern. Kompetenzen, die für Unternehmen gute Ressourcen sind“, so Sicher.

Durch das Mentoring sollen Mentees im Rollstuhl die Möglichkeit bekommen, ihr berufliches Netzwerk aufzubauen, während für Mentoren die Begegnung mit Menschen im Rollstuhl zur Selbstverständlichkeit wird. In den Mittelpunkt rückt der Mensch mit seinen Qualitäten und Qualifikationen. „Schließlich dienen Mentees auch als Role Models, die anderen zeigen, dass man eine gute Ausbildung absolvieren und viel erreichen kann, wenn man seine Fähigkeiten gut einsetzt.“