Aus „unterschiedlich“ mehr machen
Die gesellschaftliche Stimmung zum Thema bedrücke sie, sagt Karin Gutiérrez-Lobos, Vizerektorin für Personalentwicklung und Frauenförderung an der Med-Uni Wien. Den Auftrag an Universitäten sieht sie auch ganz klar in einer gesellschaftlichen Vorbildfunktion, wenn es um den respektvollen Umgang mit Vielfalt, um das bewusste Wahrnehmen und „Inkludieren“ des Anderen geht. Und ganz praktisch zu ihrem Haus: „Ohne vielfältige Erfahrungen und Zugänge sind wir nicht konkurrenzfähig.“ Immerhin: Allein im Wiener Allgemeinen Krankenhaus arbeiten Menschen aus über 100 Nationen.
Gleichzeitig verschwieg sie nicht, dass – sinngemäß – Beharrungsvermögen gelegentlich an Universitäten sehr hoch sei.
Expertinnen aus den verschiedensten Forschungsbereichen und Praxisgebieten diskutierten am Donnerstag Chancen von Vielfalt, Konfliktpotenziale, gewinnbringendes Diversity-Management, die dazu nötigen Kompetenzen und auch Missverständnisse, so wie etwa die Hoffnung auf Wirksamkeit punktueller Maßnahmen – ein paar Trainings für die Belegschaft als Freizeitangebot. „Was nicht in Strukturen und Abläufen einwirkt, das wirkt nicht“, nahm etwa Heike Mensi-Klarbach (Abteilung Gender und Diversitätsmanagement an der WU Wien) Illusionen bezüglich etwaiger „quick wins“. Strategisches Diversitätsmanagement bedeute Wandel der Organisation und gehe folglich mit massiven Widerständen einher.
Einfach in Gewinnrechnungen monothematisch den Nutzen von Diversität zu argumentieren hält sie zwar für auch belegbar, dennoch für diskussionswürdig, wenngleich klar sei, dass Subgruppenbildung und damit produktivitätshemmende Konflikte besonders oft in Organisationen anzutreffen seien, in denen das Top-Management Vielfalt nicht als Wert, sondern „halt auch als ein Problem“ wahrnehme und lebe.
Die soziokulturelle Vielfalt sei in Österreich noch nie so groß gewesen, legte Christine Binder-Fritz (Ethnologin und Medizinanthropologin an der Abteilung Public Health der Wiener Med-Uni) klar. Mit dem Hintergrund umfangreicher internationaler Forschungsexpertise postulierte sie transkulturelle Kompetenz als eine Schlüsselqualifikation im Gesundheitsbereich. Durch beständige Migrationsbewegungen seien verschiedenste Versorgungsprobleme entstanden – aufgrund völlig unterschiedlicher Vorstellungen über Krankheitsursachen (Stichwort Besessenheit) seien biomedizinische Parameter zu erweitern, wenn nicht umzuschreiben. Gabriele Bargehr (Geschäftsführerin der Beratungsfirma Im Kontext) referierte über den Weg vom „Defizit des Andersseins“ zur „Inklusion“. Gender- und Diversity-Trainerin Ingrid Mylena Kösten (womansuccess) machte die Notwendigkeit der permanenten Gender-Brille deutlich und führte vor, dass „bloßes Dulden“ ein nicht zielführender Umgang mit Vielfalt sei.
Michael Sicher, rollstuhlfahrender Life Coach in Wien (BUSYPEOPLECOACHING), stellte sich dem Publikum im Rektoratssaal auch als Projektionsfläche zur Verfügung: Wie gehe ich mit Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung um, was sind meine Vorstellungen, meine Stereotype? Selbsterkenntnis als Beginn einer offenen Haltung.
Einig waren sich bei der Abschlussdiskussion alle: „Wir stehen am Anfang, das Thema steckt in den Kinderschuhen.“ Und: Auseinandersetzung sei der beste Weg weg von der Angst vor dem Anderen, dem Fremden. (kbau)