Der Mann, der Chefs auf Touren bringt

Selbstbewusst. Michael Sicher sitzt im Rollstuhl, ist fast ständig auf Hilfe angewiesen und hat es trotzdem geschafft, mit seinem Projekt „CEOs On Wheels“ in die Chefetagen großer Firmen vorzudringen.

GERALD STOIBER

WIEN (SN). Der 39-jährige Michael Sicher ist auf den Rollstuhl angewiesen, seit er ein Kleinkind ist. „Die genaue Ursache ist heute noch unklar“, sagt der Wiener. Ob es die Folge einer Impfung war oder eine Muskelerkrankung – das ändert nichts daran, dass Sicher fast rund um die Uhr auf Betreuung angewiesen ist. Dennoch hat er Wirtschaftsinformatik studiert und seit 2005 ist er selbstständiger Life Coach in Wien. „Mit Bewerbungen habe ich keinen einzigen Job bekommen“, sagt Sicher. Aus dieser Erfahrung heraus entstand die Idee, bei einem Patenschaftsprogramm einmal die Fähigkeiten von Körperbehinderten oder Rollstuhlfahrern in den Mittelpunkt zu stellen anstatt die Hindernisse, mit denen sie alltäglich zu kämpfen haben.

CEOs schaffen Chancen

Selbstbewusst ging Michael Sicher nach dem Motto „CEOs können Chancen schaffen“ auf die Chefetagen großer Unternehmen zu. Die Resonanz war gut. Von der Bank Austria über Herold, Unilever, die Raiffeisen Versicherung bis zu Hewlett Packard und der Wien Holding gewann Michael Sicher Führungskräfte, sich als Mentoren zur Verfügung zu stellen. Noch bis September begleiten sie ihre jeweiligen Schützlinge – fünf Männer und sechs Frauen – bei monatlichen Treffen. Dabei geht es nicht in erster Linie um Jobmöglichkeiten. Ziel der Patenschaften seien „Begegnungen und möglichst viele Kontakte“, sagt Sicher. Zudem hat er Workshops veranstaltet, bei dem zum Beispiel Personalchefs versuchen, einmal im Rollstuhl ein paar Stationen U-Bahn zu fahren und sich beim Bäcker eine Jause zu holen – ein Rollenwechsel mit verblüffenden Erkenntnissen. Sichers Zwischenbilanz fällt kurz und bündig aus: „Es läuft sehr gut.“

Das bestätigte sich bei einem SN-Rundruf. „Ich habe am Anfang relativ wenig damit anfangen können, aber nach zwei Minuten war ich total begeistert“, sagt Bettina Glatz-Kremsner, Vorstandsdirektorin der Österreichischen Lotterien. Ihr Mentee Astrid Lantscha komme stets wohl vorbereitet und stelle Fragen, etwa über Mitarbeitergespräche. Sie habe eine sehr positive Lebenseinstellung. „Da gibt es kein Jammern und keine Schwierigkeit.“ Die Treffen der Vorstandslady und der Rollstuhlfahrerin sind unterschiedlichen Themen gewidmet. Einmal sei es auf Wunsch Lantschas ins Casino gegangen, einmal habe die junge Frau sie einen Arbeitstag lang begleitet. Glatz-Kremsner betont, das Projekt habe dazu beigetragen, dass die Lotterien bei den WinWin-Standorten das Engagement in Sachen Behindertenfreundlichkeit und Jobs für Behinderte verstärken wollen. Glatz-Kremsner: „Wir wollen da einiges tun.“

Sehr angetan sowohl vom Projekt als auch von ihrem Schützling Werner Rosenberger zeigt sich auch Ursula Riegler, die Sprecherin von McDonald’s Österreich. „Er ist echt ein zackiger Kerl.“ Rosenberger (38) stammt aus einer Weinbaufamilie in Rohrendorf bei Krems, ist zweifacher Familienvater und seit einem Fahrradsturz im Rollstuhl. Im Rehazentrum sei ihm geraten worden, in Pension zu gehen. „Das wollte ich mir nie gefallen lassen“, erklärt Rosenberger. An dem Projekt gefällt ihm besonders, dass er „Wissen aus der Praxis und nicht von der Uni“ bekommt. Mit Riegler nahm er zum Beispiel an Besprechungen in der PR-Agentur teil und auch an einem Branchentreff. Sie wolle Rosenberger, der sich als Selbstständiger auf PR und Marketing im Weinbereich spezialisiert habe, möglichst viele Kontakte bieten. Rosenberger haben von Anfang an US-Firmen wie HP, IBM oder McDonald’s interessiert, „weil Mentoring dort mehr gelebt wird“. Laut Riegler beschäftigt McDonald’s derzeit in Österreich 85 Menschen mit Beeinträchtigungen. In den nächsten Jahren sollen es bis zu 350 Jobs (von rund 8500 in ganz Österreich) werden. Riegler nennt ein Beispiel: „Bei einem McDrive-Schalter in Linz ist es überhaupt kein Manko, wenn jemand im Rollstuhl sitzt.“