CEOs on Wheels: Gegen Berührungsängste

Ein neu gestartetes Mentoring-Programm bringt Top-Führungskräfte mit Menschen im Rollstuhl zusammen.

Plötzlich fragt man sich: „Sind die Türen bei uns eh breit genug?“ Sonja Gahleitner, Geschäftsführerin von Unilever Österreich, ist nachdenklich geworden. „Schuld“ daran ist Andreas Kardinal, WU-Absolvent und Gahleitners Mentee. Der 29-Jährige sitzt im Rollstuhl, kann die Arme kaum bewegen. „Da werden auch kleine Stufen zum großen Hindernis“, sagt er. Demnächst wird Andreas Kardinal das Gebäude von Unilever auf seine Barrierefreiheit hin überprüfen. Denn gemeinsam mit Sonja Gahleitner nimmt er am Mentoringprogramm für im Rollstuhl sitzende Menschen teil, das Führungskräfte-Coach Michael Sicher im Rahmen seiner Initiative „CEOs on Wheels“ entwickelt hat. „Es geht darum, Berührungsängste und Unsicherheiten auf beiden Seiten abzubauen“, sagt Michael Sicher. Elf Top-Manager unterstützen die Initiative, um mehr Bewusstseinsbildung für den Umgang mit behinderten Menschen am Arbeitsplatz zu schaffen. Von Jänner bis September treffen sich die Mentees mit ihren Mentoren – entweder Personalchefs oder gleich die Top-Manager selbst –, um Einblicke ins Unternehmen zu bekommen. Unter anderem sind die Casinos Austria, IBM, TNT Express, die Raiffeisen Versicherung, die Bank Austria und HP dabei. Michael Sicher freut sich über das Interesse: „Ich habe damit gerechnet, dass drei Firmen mitmachen. Dass es gleich elf sind, hat mich positiv überrascht.“

Die Mentees selbst haben verschiedene Hintergründe – einige suchen einen Job, andere sind berufstätig und wollen sich weiterentwickeln. Daher sind auch ihre Interessen sehr individuell: Vom Mitarbeiten an einer Datenbank über das Erlernen von Präsentationstechniken oder das Kennenlernen verschiedener Abteilungen ist alles dabei. 

Lerneffekt Bei Unilever war man gleich am Projekt interessiert. Sonja Gahleitner hat ihren Mitarbeitern freigestellt, ob sie das Projekt unterstützen wollen oder nicht: „Alle haben zugesagt. Es geht für uns um gegenseitiges Lernen.“ Auch bei den Führungskräften selbst. So hat Gahleitner beim ersten Treffen mit ihrem Mentee erkannt: „Man selber ist anfangs peinlich berührt, will nichts falsch machen. Denn erhält man vom Mentee das Feedback, das sei alles kein Problem. Er will einfach als normale Person behandelt werden.“ Andreas Kardinal wird ein Mal pro Monat bei Meetings dabei sein, bei den Mentoring-Treffen will Gahleitner ihm zeigen, „wie man sich positioniert und richtig präsentiert“. Eine Jobgarantie gibt es im Mentoringprogramm nicht, sagt Sicher: „Es geht nicht darum, die Mentees im Unternehmen unterzubringen. Die Mentoren sollen die Mentees dabei unterstützen, eigene Netzwerke aufzubauen.

Selbsterfahrung Zusätzlich zum Mentoring-Programm bietet Michael Sicher einen Rollstuhl-Workshop für die Personalchefs der Unternehmen an. Mit dem Rollstuhl geht es durch Wien –, „um die Lebensweise behinderter Menschen nachvollziehen zu können“. Die CEOs besuchen auch Menschen im Rollstuhl am Arbeitsplatz, um sich davon zu überzeugen, dass sie ebenso produktiv sind wie andere. Auch die Wissenschaft ist an „CEOs on Wheels“ interessiert: Das Projekt wird von der WU Wien mit einer Studie begleitet.

Nicole Thurn